Thursday, 4 December 2008

3.3.12.08 Alison Knowles (US) & Die Maulwerker (DE) von Chris Regn

Notizen von der Performance von Chris Regn

An diesem Abend haben wir „die Maulwerker“ eine 5 köpfige Berliner Gruppe und Alison Knowles, eine unprätentiöse, im Geist des Fluxus arbeitende Künstlerin aus New York ,zusammen performen sehen.

Wenn Alison Knowles in einem Gespräch sagt, es sei etwas sehr Prähistorisches in ihren Arbeiten, und die Maulwerker an diesem Abend „Eiszeit“ aufführen, aktualisieren sie diese Qualität mit und zwischen uns.

Alison Knowles begann ihre künstlerische Arbeit in New York als Malerin und entschied sich dann mit ihren Freunden für Fluxus und für Performances mit Event Scores. Für sie bedeute dies eine einfache Aktion zu machen die vorher jemand notiert hat. Zwei ihrer Event Scores heissen z.B.: „make a salad“ oder „talk about your shoes“. Diese Events können nun mit oder ohne ihr zusammen, simultan, nacheinander mit vielen oder wenigen Menschen ausgeführt werden. Wie Spiele oder Feiertagsrituale können sie überall aufgeführt werden. „Was aus einzelnen alltäglichen Bestandteilen entsteht,“ sagt sie über diese Arbeit „ist mehr als das Abbild irgendeines alltäglichen Lebens, das ich jemals gesehen habe“. Alison Knowles mag es, etwas ganz konzentriert zu tun. Sie erachtet sich nicht wesentlich anders als ihr Publikum, nicht mehr als „ordinary and perfectly good“. Sie läd gerne andere auf die Bühne ein, z.B. damit sie ebenfalls ihre Schuhe auf einen Notenständer stellen und über sie erzählen. Der Notenständer oder das Lesen und Deuten sind ihr wichtig.

An diesem Abend beginnt Alison Knowles mit «Silk Thread Song» (1971). Der Event Score, die Partitur dafür, besteht aus einem Abdruck eines Seidenfadengewickels am Rande von Druckwalzen. Er ist als gleichsam kalligraphische Fahne auf der Bühne präsent und lädt dazu ein von oben nach unten gelesen zu werden. Links hinter den Fahne ein Stuhl, 7 Notenständer dazwischen ein Tisch mit einem Glas.
Die Maulwerker transferieren die Linien, Kurven und Verdichtungen der Partitur in Geräusche, die sie mit Stimme und Klangkörpern wie einem Glas oder staniolbedeckten Sieben und einer Violine erzeugen. Sie lesen Rhythmus, Tempo, Musik und Laute aus dieser Linie. Ich empfinde ein seriöses Konzert und koste all diese Laute aus.

Im nächsten Stück, «Mantra for Jessie» (1979), erzählt Alison Knowles von Jessie. Den Schwierigkeiten beim Einschlafen, wie sie mit der Strickliesel Farben kombiniert und diese immer beim Fadenlegen aufruft. Sie übersetzt das in ein Stück, in einen Tisch voller Gegenstände weisser, brauner, grüner und roter Farbe, eine Partitur. Alison Knowles und Christian Kesten performen im Duett. Ein Mikrofon steht am linken Rand des Tisches, eine Videokamera am rechten Rand überträgt einen Ausschnitt des Tischarrangements auf die Bühnenwand dahinter. Die Gegenstände werden mit den Händen auf ihre Soundqualitäten untersucht. Von Alison werden sie mit den Fingern geschubst, gekratzt, fahrig angespielt und resolut beklopft als wären sie nicht etwas bestimmtes, als wären sie aus einer anderen Zeit oder von einer anderen Spezies zurückgelassen. Sie spricht die Namen der Farben klingend. Die Wörter werden ausgelotet und rythmisiert ohne ihre Bedeutung auszunutzen. „Desinterested interest“ tritt hier als künstlerische Qualität in Erscheinung. Christian sehe ich als Musiker in diese Notation mit Gegenständen eintauchen und sie behutsam mir Bewegungen - wie der Arm des Violinisten sie macht - präzise sanfte, scharfe und klirrende Klopf, Schraub und Raschelgeräusche machen

In Steffi Weissmanns folgender Performance für die Maulwerker «Fountain» (2008) wird ein Becherbrunnen gestellt. Zwei Performer kauern vorne, die mittlere Figur sitzt und zwei stehende Personen rahmen wie bei einem Figurenbrunnen links und rechts, alle halten weisse Plastikbecher in den Händen. Alison giesst etwas Wasser in die beiden obersten Becher und eine Brunnenmaschinerie entwickelt sich im Umgiessen zwischen den Performern. Das rythmische Greifen um die Becher macht aufmerksamkeitsheischende, durstige Geräusche. Die untersten Becher gehen leer aus, bei einer seitlichen Figur wird getrunken, Wasser wird verschüttet, der Brunnen versiegt. Starre, Ende.

Ariane Jeßulat Performance, «niet und nagel» (2008) wird von drei Performern ausgeführt. Sie sitzen auf Stühlen um den Tisch, vor ihnen runde Vesperbrettchen, jeweils ein Hammer wie Besteck vor ihnen. Gemeinsam beginnen sie Sprichwörter, Lebensweisheiten und Poesiealbumssprüche mit dem schlagenden Geräusch des Einnagelns auszurufen.

Notizen von der Performance von Chris Regn

Auch drei Performer für Christian Kesten, «zunge lösen» (1999/2002) sitzen am vorderen Bühnenrand eng zusammen und beginnen damit, gemeinsam unverwandt zu starren, vielleicht den Blick nach innen zu richten. Ganz allmählich öffnen sie den Mund (machmal ein Schnalzlaut) und strecken die Zunge langsam bewegend, tastend heraus. Im Betrachten werden die Zungen zu einem eigenen, fremden Etwas, das in Symbiose mit der Performergestalt zu leben scheint. Vielleicht Ektoplasma.

Katarina Rasinski, «Eiszeit» (1997)
Vom hinteren Bühnenrand aus bewegen sich 4 Performer, den Blick schon auf ihr Ziel gerichtet in gleichmässig losem Abstand gemeinsam langsam mit Lauten und Geräuschen die sie erzeugen laufend durch den Raum zu dessen Ende. In unserem Fall durch das Publikum über die aufsteigenden Sitzreihen kletternd.

Für Alison Knowles «Onion Skin Song» (1973) steht Ariane Jeßulat ihr gegenüber, parallel zum Publikum, und wie beim Wäschefalten entrollen beide eine transparente Folie, schütteln das schwebende glitzernde Band und legen es auf den Boden. Dann verstreut Alison Zwiebelschalen aus einer knisternden Tüte säend auf das Folienbeet.
Eine Deckfolie fixiert die Schicht, die mit Hilfe einer dritten Person aus dem Publikum aufgehoben und als Notenzeile aufgespannt wird. Christian Kesten interpretiert mit einem Soundinstrument aus handgefertigtem Flachspapier und Bohnen die Zwiebelschalenpartitur, Alison Knowles generiert entsprechende Geräusche, indem sie zwei präparierte Papiertütenandschuhe aneinander reibt. Die Partitur wird zum Tonband, entlang dem man sich vorwärts und rückwärts bewegt. Am Ende wird das Band zusammengeknüllt und mit Schwung ins Publikum geworfen.

Chris Regn

7 comments:

little said...

Zu «Mantra for Jessie» (1979)

Weißhaarig in weißem Hemd, kaum wirklich anwesend, steht Alice Knowles vorne an der Bühne und erzählt eine Geschichte: ein Kind lernt Stricken mit mehrfarbiger Wolle. Wie beim Aufsagen eines Gedichts benennt sie die Farben der nicht vorhandenen Schnur und wirkt selbst so klein wie ein Kind: Brown, Brown, Brown, White, Red, Red, Green.
Auf einem langen schmalen Tisch sind unterschiedliche eher alltägliche Gegenstände zu sehen: Sirup, Papier, verwelkter Salat... Einen Ausschnitt der Anordnung wird an einer Seite des Tisches von einer Kamera live aufgenommen und vergrößert an die Wand projiziert. An der anderen Seite verstärkt ein Mikrofon den Klang der Aktion.
Hinter dem Tisch stehend widmen sich Alice Knowles und Christian Kesten abwechselnd diesem und jenem Gegenstand. Mit Plastikobst wird leicht gegen den Tisch geklopft, Papier rasselt, eine Reibe quietscht. Es entsteht eine Geräuschkulisse, ab und zu kommen Sounds zusammen und lassen Rhythmen und Melodien entstehen.
Bis auf wenige zufällig die Kamera streifende Bewegungen, die mir mal ein schwingendes Salatblatt präsentieren, ist die Leinwand von einem Standbild besetzt. Das sich mir aufdrängt und nicht zulässt, dass ich mich in den Klang verliere. Ich versuche immer wieder Sehen und Hören zusammenzuführen. Ich bemühe mich den Klang Farben zuzuordnen um mir die Dinge, die ich sehe zu erschließen, aber meinen Drang meine Sinneswahrnehmungen zu komponieren bleibt unbefriedigt. Die Klänge und die Dunkelheit im Zuschauerraum legen sich schließlich auf meine Augen wie Blei und ich schließe sie. Verlangsamter Alltag ist zu hören. Ich liege in meinem Bett, im Wohnzimmer geht jemand umher, in der Küche wird wahrscheinlich gekocht. Das Ende verpasse ich, als ich die Augen öffne verbeugen sich die Performer.

Lunessa Vatz

little said...

zu: “Zunge lösen“
von Christian Kesten/die Maulwerker

Übungen, die die Zunge lösen – zumal für den Gebrauch auf der Bühne – klingen mitunter wie die Nachahmung einer Dampflok aus industriellen Hochzeiten, wie das lang gezogene „BÄH“ eines Menschenjungen lange vor dem Spracherwerb, oder wie Lieder, die den senilen Verfall ankündigen.
In Kestens „Zunge lösen“ ist jedoch lange nichts zu hören. Stattdessen kann man das langsame Auffallen der drei Münder beobachten. In der Verdreifachung erinnern die starren Gesichter an Puttenköpfe, die jeden Moment anfangen könnten zu singen. Doch das Abfahren des Gaumens mit der Zunge ist nur zu erahnen, wenn ein kleines Schnalzen und Ploppen hörbar wird. Wenn schließlich die Zungen aus den Mündern hervorblitzen, sehen sie fremd aus, wie kleine, spitze oder lange, fleischige Würste, die aus den unterschiedlichen Physiognomien der Maulwerker hervorragen.
Die Zungen erscheinen als Protagonisten eines Puppentheaters, in dem die Gesichter zur feststehenden Szenografie erstarrt sind und die Lippen einen dunklen Spot für den Auftritt des Streckens, Tastens und Zuckens der rosig feuchten Muskeln bereitstellen.
Das Wiedererkennen der eigenen Mundanatomie, wechselt mit dem fremden Blick auf die Trinität aus halbverborgenem, ausschließlich hörbarem und halbsichtbarem Zungenspiel, ein Spiegelverhältnis bei dem man unwillkürlich den eigenen Mundmuskel bewegt. Und sich plötzlich wundert, nicht nur über das Antlitz einer Zunge, sondern auch über die Form von Augen, Nasen, Augenbrauen und Haaransätze. Seltsame Dinger diese Gesichter.

Lorena Vebert

little said...
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Unknown said...

Zu Christian Kerstens „zunge lösen“ (1999/2002)



Drei obszöne Zünglein hocken auf Der Mauer
Auf der Lauer, glotzen einem Kuhäugig entgegen.
Zünglein macht sich auf den Weg.
Lippen. Mund. Winkel. Kinn.
Eher unbemerkt. Tastet untere Schneidezähne ab.
Fährt an der Zahnreihe vorbei. Schon deutlicher an der Backeninnenwand.
Gaumenlutschen.
Ein leises hörbares Schnalzen Entfährt meinem Mund.
Etwas Peinlich berührt sehe ich Mich um im Zuschauerraum,
Ob wer was von Meiner mangelnden Körperkontrolle gemerkt hat.
Während ich mich
Für Mein dreistes Zünglein Fremdschäme
Und mich über die Wirkung, die ein Fremdes Zünglein auf meinen Körper Hat,
Wundere,
Geht mir das Obszöne in einer Geste, in der mir drei Personen die Zunge rausstrecken, vollkommen ab.


Tim Hundt

little said...

„Silk Thread Song“ von Alison Knowles und den Maulwerkern

In einem Halbkreis sind Stühle mit Notenständern aufgebaut. Sehr konzentriert und ernsthaft blickende Perfomer setzen sich auf die Stühle und nehmen verschiedene Dinge in die Hand: eine Geige, ein Glas, eine Art Pfeile mit zwei Steinklötzen. Neben den Stühlen hängt ein längliches Papier, das für mich wie ein chinesisches Phantasie Banner aussieht. Die Bedeutung dieses Papiers wurde von Alison Knowles auf englisch erklärt. Verstanden habe ich diese nicht genau, nur, dass die Linien und Striche auf dem Papier nicht von Menschenhand entstanden sind.
Dann beginnen die Performer unmerkliche Laute und Geräusche von sich zu geben. Sie grunzen und zischen mit dem Mund. Ihre Instrumente erzeugen ungewohnte Töne und Geräusche. Es dauert einen kurzen Moment, bis ich begreife, dass die Geräusche einer Komposition oder Ordnung folgen. Die Blätter auf den Notenständer zeigen die Linie auf dem Banner. Jetzt frage ich mich, an welcher Stelle der Linie die Performer, die in meinem Kopf zu Musikern geworden sind, wohl sind. Haben sie am oberen oder am unteren Ende der Linie angefangen.

Christina Schelhas

Unknown said...

Silk Thread Song

Fünf Performer im Halbkreis. Notenständer vor sich. Links von ihnen, hängend, ein Rollbild aus Seide: Maschinell erstellt, ein Blueprint, ohne Zutun von Menschen entstanden, erklärt Alison Knowles – die Partitur. Dunkelblaue Spuren, erinnernd an Konstruktionszeichnungen oder Insektenbeine unterm Mikroskop.
Kammerorchestersituation. Publikumsraum und Zuschauerraum sind klar getrennt. Wir sitzen vor einer Bühne, einer Konzertbühne. Die Instrumente: eine Geige, ein Blatt Papier, ein Küchensieb, ein Weinglas, zwei Klötze, ein Stab.
Knowles geht.
Stille. Konzentration der Performer – auf sich selbst, auf die Partitur. Erwartung des Publikums. Dann ein Brechen der Stille von links. Ein seltsames Geräusch. Schabend, Quietschend. Und dann das Einstimmen der Anderen. Jammernd, klagend, heulend, wimmernd klingen die Gegenstände und die Performer. Werden selbst zum Instrument. Das Singen des Weinglases schwebt monoton und stetig über oder unter dem Klangteppich. Der steigt, fällt, wird schneller, wieder langsamer – bleibt aber immer in einem gefühlten Rahmen. Niemand scheint auszubrechen, bleiben im Rahmen aus Seide und Linien. Der ist hell angeleuchtet. Die Partitur nimmt viel Raum ein. Gefühlt. Steht im Vordergrund. Die Performer: bleiben im dunkleren Hintergrund auf der schlichten Bühne – nur ihre Töne lassen sie präsent sein. Nur die sind wichtig.
Wie lange ist das Lied? So lang wie das Bild? Wie lange ist ein Bild? Meter, Zentimeter, Dezimeter – wie viele Minuten, Stunden, Sekunden?
Irgendwann Stille. Die Performer verbeugen sich. Applaus. Ende.

Lisa Bauer

Unknown said...

Annette

Zu „Zunge lösen“

Drei Personen auf drei Stühlen. Eng beieinander.
Gerader Rücken, Beine parallel, Hände auf den Schenkeln.
Schauen ins Publikum.
Schauen. Starren. Schauen.
Sitzen.
Unbeweglich. Unbeteiligt.
Ein Mund öffnet sich. Fast unmerklich. Weiter und weiter.
Starre Gesichtszüge.
Die anderen Münder. Öffnen sich. Weiter und weiter.
Gesichtszüge – starr.
Münder fangen an, zu schmatzen, schlotzen, schmecken.
Langsam. Leise. Fast lautlos.
Stumm. Starr. Stille.
Plötzliches ploppen. Wabert von einem zum andern.
Starre Gesichtszüge.
Wieder Stille. Spannung.
Eine Zunge erscheint.
Langsam. Lautlos. Tastend.
Eine andere Zunge streckt sich. Spannt sich.
Zungenbewegungen. In Zeitlupe.
Stille.
Schauen. Starren. Schauen.
Zungen verschwinden.
Klappen zu.
Stille.