Thursday, 4 December 2008

„So gebe ich euch dieses Lied“ von Dagmar Reichert

sagte die Performancepionierin Alison Knowles zu den um vierzig Jahre jüngeren Performern der Gruppe Maulwerker, mit denen sie an diesem ersten Abend des Performance Saga Festivals auf der Bühne stand. Und diese nahmen es an, das Lied, seine Partitur, ein feines graphisches Linienmuster in bester Fluxusmanier, das auf einer Fahne im Raum hing. Sie nahmen es an und führten es auf.

Das Projekt Performance Saga versucht zwischen der Geschichte und Gegenwart dieser flüchtigen Kunstform zu vermitteln. Dabei setzt es nicht so sehr auf Videoaufzeichnungen oder Archive, sondern auf den lebendigen Dialog zwischen KünstlerInnen verschiedener Generationen, auf Veranstaltungen, in denen junge Performancekünstler neben den PionierInnen auftreten und auf die wegweisenden Werke ihrer Kunstgattung antworten.

Generationenübergaben sind häufig eine schwierige Sache. Wenn sie direkt erfolgen, umso mehr. Können die Jüngeren denn wirklich den ganzen Sinn der Arbeit erfassen? Können die Älteren denn wirklich zulassen, dass ihre Ideen umgewandelt, angepasst, neu kontextualisiert werden, ja dass „Missverständnisse“ vor ihren Augen öffentlich aufgeführt werden? Wie bindend sind Geschichte und Tradition der Performancekunst? Und: Auf welche Weise bindend um zu verbinden ohne einzuengen?

Die gestrige Partitur von Alison Knowles liess der Musik der Jungen sehr viel Freiheit. Was sie ihnen jedoch strikte abverlangte war eine Einstellung: Hohe Aufmerksamkeit, Präsenz und den Mut den herkömmlichen Bereich von Instrumenten und Klängen zu verlassen.

In einem anderen gemeinsam aufgeführten Stück wurde eine andere Qualität dieser Generationenübergabe deutlich. Viele verschiedene Gegenstände auf einem Tisch, Alison Knowles und einer der Maulwerker neben einander, widmeten ihnen je ihre Aufmerksamkeit und entlockten ihnen seltsame Töne. Nun schien Alison fertig zu sein, schien bereit vom Tisch zurückzutreten, das Stück zu beenden. Bemerkt es ihr junger Kollege? Sollten sie nicht gleichzeitig zum Ende kommen? Immer noch ist er voll involviert in seiner Betrachtung. Was wird sie nun tun? Kehrt sie zurück an den Tisch um doch einen gemeinsamen Abschluss zu finden? Nein. Ruhig tritt sie weiter zurück, ruhig setzt er seine Betrachtungen fort und präsent bleibt sie im Hintergrund bis er für sich zum rechten Ende kommt. Übergabe und andere Weise gemeinsamen Abschlusses zugleich.

Ganz direkt in Bezug auf den Umgang mit Tradition und die Übergabe zwischen Generationen konnte ein hier erstmals aufgeführtes Stück der Gruppe Maulwerker gelesen werden. Mit Trinkbechern in der Hand formierten sich die Vier zu einer Brunnenskulptur. Alison Knowles trat hinzu und spendete das Wasser, das dann von Becher zu Becher weiter übergeben wurde. Einiges ging dabei verloren, viel wenn jemand es für seine eigenen Zwecke gebrauchte, trank statt weiterzugeben, immer ein wenig im Vergiessen beim Weitergeben. Irgendwann war kein Wasser mehr da. Wäre es an Alison Knowles gelegen hinzuzutreten und wieder nachzuschenken? Wäre es an ihr gelegen die Jungen zu ermutigen mit eigenem Wasser nachzufüllen? Nichts dergleichen geschah. An der Seite stehend liess sie diese Tradition enden.

Freiräume in der Übergabe zwischen den Generationen, Lebendighalten von Traditionen durch Neuerungen im Geist und in Kenntnis des Alten, auch Akzeptieren, dass Dinge enden. Aber am Ende dieses Performanceabends gab es doch auch eine ganz vehemente Aufforderung der fünfundsiebzigjährigen Alison Knowles ihre Performancearbeit fortzusetzen: kaum hatte sie die Zwiebelpartitur, die sie in ihrer abschliessenden Performance hergestellt und interpretiert hatte, am Ende zusammengeknüllt, warf sie sie mit vollem Schwung ins Publikum. Und so geschah es, dass dieses kondensierte Vermächtnis just an die Brust einer anderen Performancekünstlerin knallte, die sich zufällig in Schussrichtung im Publikum befand. Manchmal, so scheint es, gibt es vor Aufforderungen der Geschichte gar kein Entkommen.

Dagmar Reichert

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